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Östringer Weg 18, 49090 Osnabrück

I. Forstwirtschaft und europäisches Artenschutzrecht

Der gesetzliche Artenschutz gilt auch für den häufigsten unserer einheimischen Vögel, den Buchfnken
(Foto: M. Schreiber)

Um den Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten der heimischen Wälder ist es nicht zum Besten bestellt. Verantwortlich wird dafür in erster Linie das forstliche Flächenmanagement gemacht (Vgl. Heinze et al., NuL 94 (2019), 453/457; ferner BMU, Bericht zur Lage der Natur 2020, S. 2). Die verstärkte Nutzung der Wälder, vor allem auch der Altersstadien, wirkt sich zunehmend negativ auf die Artengemeinschaften aus. Daneben werden die Wiederaufforstung mit nicht standortheimischen Gehölzen, die Beseitigung von Tot- und Altholz, Einschläge und Kahlschläge, Änderungen des hydrologischen Regimes und des forstwirtschaftlichen Wegebaus zu den maßgeblichen Gefährdungsursachen gerechnet, die zahlreichen Tier- und Pflanzenarten des Waldes das Leben schwermachen.

Der Umstand, dass sämtliche europäischen Vogelarten sowie verschiedene Säugetiere, Amphibien-, Reptilien- und Insekten- sowie einige Pflanzenarten durch die Vogelschutzrichtlinie (VRL) und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) der Europäischen Union geschützt sind, hat den Rückgang der Artenvielfalt im Wald bislang nicht aufhalten können. Das könnte sich ändern, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Verfahren „Skydda Skogen“ (Schütze den Wald) deutlich gemacht hat, dass auch die Forstwirtschaft den unionsrechtlichen Vorschriften des Artenschutzrechts den ihnen gebührenden Respekt zu erweisen hat (Urt. v. 4.3.2021, C-473/19 und C-474/19, ECLI:EU:C:2021:166)

II. Kernaussagen des Urteils „Skydda Skogen“

Der stark gefährdete Wiesenpieper kann durch landwirtschaftliche Arbeiten oder durch die
die Abtorfung seiner Habitate beeinträchtigt werden (Foto: M. Schreiber)

Das Urteil des Gerichtshofs erging auf Vorlage eines schwedischen Gerichts in einem Verfahren, in dem sich ein Waldschutzverein („Föreningen Skydda Skogen“) und der Ornithologische Verein Göteborg gegen den Kahlschlag in einem Waldgebiet zur Wehr setzten, das verschiedenen Vogelarten (z.B. Auerhuhn, Kleinspecht, Weidenmeise) und dem in Anhang IV FFH-RL gelisteten Moorfrosch als Lebensraum dient. Das schwedische Gericht bat den EuGH um die Beantwortung verschiedener Fragen zur Auslegung der Richtlinien. Die Antworten der Luxemburger Richter müssen auch hierzulande mit Blick auf die land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung, aber auch bei Zulassung von Eingriffsvorhaben zum Umdenken veranlassen.

  1. Art. 5 VRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz sämtlicher europäischer Vogelarten zu ergreifen, die insbesondere ein Verbot des absichtlichen Tötens, der absichtlichen Zerstörung oder Beschädigung von Niststätten und der absichtlichen Störungen umfassen. Vor dem Hintergrund des schon in den Begründungserwägungen der im Jahre 1979 erlassenen Vogelschutz-Richtlinie thematisierten und bis heute noch immer nicht gestoppten Rückgangs der Bestände europäischer Vogelarten stellt der EuGH zunächst klar, dass die Verbote des Art. 5 VRL unabhängig davon anzuwenden sind, ob die betroffenen Vogelarten auf irgendeiner Ebene bedroht oder ihre Populationen auf lange Sicht rückläufig sind (Rn. 44). Den auch hierzulande immer wieder zu beobachtenden Versuchen, das Anwendungsfeld der zur Umsetzung des EU-Artenschutzrechts bestimmten Zugriffsverbote (§ 44 Abs. 1, 5 BNatSchG) unter Hinweis auf Aspekte der mangelnden Gefährdung oder einer fehlenden populationsbiologischen Sensibilität zu relativieren (Bernotat/Dierschke, Übergeordnete Kriterien zur Bewertung der Mortalität wildlebender Tiere im Rahmen von Projekten und Eingriffen, 3. Fassung, Stand: 20.09.2016), ist damit eine Absage erteilt. Der Mäusebussard und der Turmfalke, die Rauchschwalbe, der Mauersegler und das Wintergoldhähnchen müssen daher vor den negativen Auswirkungen menschlicher Verhaltensweisen ebenso geschützt werden, wie das vom Aussterben bedrohte Auerhuhn, der stark bedrohte Wiesenpieper oder die gefährdete Nachtschwalbe.
  2. Da das schwedische Recht – nicht anders als § 44 Abs. 1 BNatSchG – die Regelungsvorgaben des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL auf Vögel der europäischen Arten erstreckt, bezieht der Gerichtshof die ihm unterbreiteten Vorlagefragen auf diese Bestimmung und weicht damit in bemerkenswerter Weise von den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott ab, die es für sinnvoll erachtet hatte, die Vögel der europäischen Arten in zwei Klassen aufzuteilen (SchlA v. 10.9.2020, C-473/19 und C-474/19, ECLI:EU:C:2020:699). In dieser „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ sollten gefährdete Arten in die erste Klasse eingestuft und auch vor nicht bezweckten, aber in Kauf genommenen Beeinträchtigungen geschützt werden. In die zweite Klasse sollten dagegen alle Arten verwiesen werden, bei denen es unter Abwägung ökologischer, wissenschaftlicher, kultureller sowie wirtschaftlicher und freizeitbedingter Erfordernisse nicht notwendig ist, neben den bezweckten zugleich auch die lediglich in Kauf genommenen Beeinträchtigungen zu unterbinden, wie sie typischerweise bei der Verwirklichung von Eingriffsvorhaben, aber auch bei der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung erfolgen (kritisch Gellermann/Schumacher, NuR 2020, 841 ff.).

    Diesen Auslegungsvorschlag, der namentlich von Vertretern der Windindustrie nachgerade euphorisch begrüßt worden ist (vgl. etwa Frank, ZNER 2020, 412 ff.), die das europäische Artenschutzrecht ohnehin als unnötiges Hindernis für die Verwirklichung der angestrebten Energiewende begreifen, griff der EuGH nicht auf. Stattdessen bestätigen die Luxemburger Richter das in ihrer bisherigen Rechtsprechung entwickelte Verständnis des Absichtsbegriffs und folgern, dass forstwirtschaftliche Maßnahmen die Verbote des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL durchaus verwirklichen können. Der Umstand, dass Bewirtschaftungshandlungen der Forstwirtschaft auf die Produktion von Holz gerichtet sind, während sich die Tötung und Störung geschützter Tiere, die Vernichtung ihrer Nester und Eier sowie die Schädigung ihrer Fortpflanzungsstätten als in Kauf genommene Begleiterscheinung („Kollateralschaden“) darstellt, ändert daran nichts.
  3. Mit bemerkenswerter Deutlichkeit betonen die Luxemburger Richter, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. b FFH-RL die Störung von Exemplaren geschützter Tierarten unterbunden wissen will. Dies hat zur Folge, dass Maßnahmen mit diesem Verbot auch dann in Konflikt geraten, wenn sich mit ihnen nicht das Risiko negativer Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der betroffenen Art verbindet. Da das hierzulande geltende Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG Störungen geschützter Tiere nur dann untersagt, wenn störende Handlungen zu einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der lokalen Population der betreffenden Art führen, wird das Bundesverwaltungsgericht seine These von der Unionsrechtskonformität dieser nationalen Vorschrift (Urt. v. 12.3.2008, 9 A 3.06, NuR 2008, 633 Rn. 237) überdenken müssen.
  4. Da der Gerichtshof zugleich darauf hinweist, dass die Durchführung des Art. 12 Abs. 1 Buchst. a-c FFH-RL gerade nicht davon abhängt, dass eine Maßnahme das Risiko einer negativen Auswirkung auf den Erhaltungszustand der betroffenen Tierart hat, ist zugleich der Bundesgesetzgeber aufgerufen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um das nationale Artenschutzrecht in Übereinstimmung mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu bringen. Das betrifft vor allem die Vorschrift des § 44 Abs. 4 BNatSchG, die eine der guten fachlichen Praxis entsprechende land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung von der Beachtung der ansonsten für jedermann verbindlichen artenschutzrechtlichen Verbote entbindet. Land- und Forstwirten, die im Rahmen der Bewirtschaftung ihrer Nutzflächen die Nester und Eier europäischer Vögel zerstören, Amphibien oder Reptilien töten oder Fortpflanzungs- und Ruhestätten europäischer Fledermäuse zerstören, gewährt § 44 Abs. 4 BNatSchG einen artenschutzrechtlichen „Persilschein“, der mit den richtliniengestützten Vorgaben des EU-Artenschutzrechts nicht vereinbar ist (Gellermann/Schumacher, NuR 2021, 182/184 f.; Lau, NuR 2021, 462/464).

III. Europäisches Naturerbe bewahren – auch vor den Auswirkungen der Forstwirtschaft

Tannenmeisen gehören zu den gesetzlich geschützten Arten. (Foto: M. Schreiber)

Das Urteil im Verfahren „Skydda Skogen“ (Schütze den Wald) ist ein Weckruf für all jene, die trotz des ungebremsten Artensterbens und der besorgniserregenden Biodiversitätsverluste noch immer annehmen, die Verbote des europäischen Artenschutzrechts nicht ernst nehmen zu müssen und nach Belieben relativieren zu können. Der Gerichtshof der Europäischen Union ist solchen Versuchen nun erneut mit allem Nachdruck entgegengetreten. Sein Urteil verdeutlicht schlaglichtartig, dass auch hierzulande weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, um das europäische Naturerbe in Wahrnehmung der Verantwortung für künftige Generationen (auch) vor den negativen Auswirkungen der Forstwirtschaft zu bewahren.

apl. Prof. Dr. Martin Gellermann

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