Have any questions?
+44 1234 567 890
Schutzgebietsausweisung von FFH-Gebieten vor dem Europäischen Gerichtshof
Nach einem langen Vorverfahren hat die EU-Kommission am 18.02.2021 beschlossen, Deutschland „wegen mangelhafter Umsetzung der Habitat-Richtlinie“ (FFH-Richtlinie) vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.
Hin zu diesem Vertragsverletzungsverfahren hatte sich die EU-Kommission als ausgesprochen geduldig erwiesen, wie die Beschreibung des Ablaufs in der Begründeten Stellungnahme vom 12.02.2020 zu entnehmen ist. Denn seinen Ausgang hatte das Verfahren mit einem Schreiben vom 13. Juni 2012 genommen, in dem die EU-Kommission um Informationen über den Stand der Ausweisungen der FFH-Gebiete gebeten hatte. Daraufhin antwortete Deutschland am 26. Juni 2014, man werde die Verpflichtung zur Ausweisung der Gebiete bis zum Jahr 2020 vollständig erfüllen. Die Verpflichtung zur Festlegung der Erhaltungsmaßnahmen werde bis 2022 erfüllt.
Das reichte der EU-Kommission nicht, wie sie in einer Antwort vom 26. Juni 2015 wissen ließ. Denn die Fristen zur Umsetzung der Unterschutzstellung der Gebiete waren z.T. bereits 2010 ausgelaufen. Darauf teilte Deutschland in einer Antwort vom 26. Juni 2015 mit, dass man seine Anstrengungen verstärken werde, um zu gewährleisten, dass die Verpflichtungen bis 2018 bzw. 2020 erfüllt würden.
Am 3. August 2018 musste Deutschland dann allerdings einräumen, dass sich dieser Zeitplan verzögert und die Ausweisung der Schutzgebiete erst 2020 und die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen erst 2023 für alle Gebiete erfolgen werde.
Es wurde also nicht nur der ursprüngliche, selbstgegebene Zeitplan infrage gestellt, sondern es stellte sich außerdem bei einer Sitzung der deutschen Behörden mit der EU-Kommission am 28. September 2018 zusätzlich heraus, dass ein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis zu den Erfordernissen von Erhaltungszielen als Grundlage für die Festlegung von Erhaltungsmaßnahmen besteht.
Die EU-Kommission ist nämlich der Auffassung, dass die Erhaltungsziele für die deutschen Gebiete nicht hinreichend detailliert und gebietsspezifisch sind. Dem hielt Deutschland in seiner Antwort entgegen, dass die FFH-Richtlinie nicht ausdrücklich die Festlegung von Erhaltungszielen in der von der EU-Kommission gewünschten Detailtiefe festschreibe und es deshalb Sache der Mitgliedstaaten sei zu entscheiden, wie die Ziele am besten zu erreichen seien. Nach der Beschreibung in der Begründeten Stellungnahme verfolgt Deutschland bei der Umsetzung einen zweistufigen Ansatz: „In einem ersten Schritt werde in den Verordnungen, die das GGB als BSG ausweisen, zunächst die allgemeinen Erhaltungsziele normiert. In einem zweiten Schritt würden die Erhaltungsziele spezifiziert, erforderlichenfalls im Kontext des Bewirtschaftungsplans für die einzelnen Gebiete. Nach Angaben der deutschen Behörden gewährleiste dieses Verfahren einerseits die notwendige Rechtssicherheit und biete andererseits genügend Flexibilität für eine effektive Gebietsbewirtschaftung.
Deutschland bestreitet auch die Auffassung der Kommission, dass die Erhaltungsmaßnahmen auf detaillierten gebietsspezifischen Erhaltungszielen beruhen sollten und Erhaltungsmaßnahmen nur dann wirksam durchgeführt werden könnten, wenn sie präzise, quantifiziert und hinreichend klar seien, um zu gewährleisten, dass die für die einzelnen Gebiete festgelegten Erhaltungsziele erreicht werden, und dass sie zur Verwirklichung des übergeordneten Ziels der Richtlinie beitragen („wer tut was, wann, wo und wie“)“
Hinsichtlich der Ableitung dieser Position anhand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichshofs wird auf die Begründete Stellungnahme verwiesen.
Für das Vertragsverletzungsverfahren stellt die Kommission sodann fest, dass die Verpflichtung zur konkreten Unterschutzstellung für einen Teil der Gebiete bereits bis zum 7. Dezember 2010 bestanden hätte. In einer Tabelle listet die EU-Kommission 4606 FFH-Gebiete auf, für die die Verpflichtung zur Ausweisung jedenfalls zum 26.04.2019, dem Datum der letzten Antwort von Deutschland, nicht in der erforderlichen Weise erfüllt wurde.
Im Weiteren formuliert die Kommission ihre Anforderungen:
„Um diese Funktion erfüllen zu können, müssen die Erhaltungsziele
- gebietsspezifisch‚ d.h. auf Gebietsebene festgelegt werden (aber möglicherweise durch ein breiteres Spektrum von Erhaltungszielen auf höherer, z. B. nationaler, regionaler oder biogeografischer Ebene ergänzt werden müssen);
- umfassend sein‚ d.h. alle Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlicher Bedeutung erfassen, die in einem Natura-2000-Gebiet in bedeutendem Umfang vorhanden sind (wie in dem entsprechendem Natura-2000-Standarddatenbogen angegeben);
- spezifiziert im Hinblick auf das Schutzgut‚ d.h. eindeutige Identifizierung einzelner Lebensraumtypen oder Arten in dem Gebiet
spezifiziert im Hinblick auf den anvisierten Erhaltungszustand‚ d.h. eindeutig den Erhaltungszustand identifizieren, den der Lebensraumtyp und die Arten in dem Gebiet erreichen sollen; der gewünschte Zustand muss:- quantifiziert und messbar (quantitative Ziele müssen gegebenenfalls durch qualitative Ziele ergänzt werden, wie etwa durch die Beschreibung eines guten Erhaltungszustands eines Lebensraumtyps oder einer Populationsstruktur) sowie
- berichtsfähig (Ermöglichung der Überwachung)
realistisch (angemessener Zeitrahmen und angemessener Einsatz von Ressourcen), konsequent im Ansatz (Verwendung ähnlicher Strukturen und Bedingungen für die gleichen Schutzgüter in den Gebieten) - umfassend (Bedingungen und Zielwerte müssen die Eigenschaften der Schutzgüter abdecken, die zur Beschreibung ihres Erhaltungszustands als günstig oder ungünstig notwendig sind) (siehe Vermerk der Kommission über die Festlegung von Erhaltungszielen für Natura-2000-Gebiete, Dok. Hab. 12-04/06 vom November 2012, abrufbar unter:
http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/commission_note2_DE.pdf, S. 7-8); - eindeutig dahingehend sein, ob die „Wiederherstellung“ oder „Erhaltung“ des Erhaltungszustands der relevanten Schutzgüter des Gebiets anvisiert ist (die jeweiligen Zielvorgaben bestimmten die erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen vorher).
- den ökologischen Erfordernissen der in dem jeweiligen Gebiet vorzufindenden, in Anhang I aufgeführten natürlichen Lebensraumtypen und in Anhang II aufgeführten Arten entsprechen (siehe Vermerk der Kommission zur Festlegung der Erhaltungsziele für Natura-2000-Gebiete vom November 2012, abrufbar unter http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/management/docs/commission_note/commission_note2_EN.pdf, S. 3).
- die Bedeutung des Gebiets für die Erhaltung oder Wiederherstellung wiederspiegeln, hinsichtlich eines günstigen Erhaltungszustand der in dem Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen und Arten und für die Kohärenz von Natura 2000.“
Die Kommission betont, dass es nicht darauf ankommt, dass alle Anforderungen bereits mit der Unterschutzstellung erfüllt sind. Dann aber müssen sie z.B. in einer Managementplanung verbindlich geregelt sein.
Deutschland dagegen bestreitet die Auffassung der Kommission, dass die gebietsspezifischen Erhaltungsziele „quantifizierbar“ und „messbar“ sein müssen und vertritt die Auffassung, dass das Ziel der Richtlinie, einen günstigen Erhaltungszustand der relevanten Schutzgüter zu erhalten oder wiederherzustellen, auch durch ein System erreicht werden könne, in dem die in dem betreffenden Gebiet zu schützenden Güter benannt und einer qualitativen Bewertung unterzogen werden. Die nötigen Maßnahmen und Verbote könnten dann von der qualitativen Einstufung abhängig gemacht werden.
Beispiel: Schierlings-Wasserfenchel
Die Kommission bekräftigt jedoch ihre Anforderung nach einer Quantifizierung der Erhaltungsziele und belegt die Notwendigkeit mit Beispielen.
Sie verweist dazu auf den Schierlings-Wasserfenchel (Oenanthe conioides), der weltweit nur im Ästuar der Elbe vorkommt. Deutschland hat für die Art dort neun Gebiete gemeldet. Nach dem aktuellen nationalen Bericht zum Erhaltungszustand der Schutzgüter ist der Erhaltungszustand für Deutschland ungünstig-schlecht. Als dem selbst gesetzten Referenzwert für den günstigen Erhaltungszustand ist ein Bestand von 5.025 Exemplaren der Art anzustreben. Daraus folgt, dass in jedem einzelnen Gebiet etwa 550 Exemplare vorkommen müssten oder ein solcher Bestand zu entwickeln wäre. Wie die Kommission anhand der Unterlagen aus Deutschland feststellt, sieht das nationale Bewertungsschema aber bereits ab einem Bestand von 50 Exemplaren einen guten Erhaltungszustand erreicht. Daraus folgert die Kommission:
„Dies bedeutet, dass theoretisch alle neun Gebiete, die 50 Individuen dieser Pflanzenart beherbergen, nach dem nationalen Bewertungssystem in die Kategorie „gut“ („B“) eingestuft werden könnten, obwohl die Zahl der Individuen insgesamt nur 9 x 50 = 450 betragen würde, was weit unter dem Referenzwert von 5025 Individuen liegen würde, wie in dem Artikel 17-Bericht festgelegt. Wenn die Einstufung eines Gebiets unter den nationalen Status „B“ zur Folge hat, dass der Status nur erhalten werden muss, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Ziele in Form der Erreichung eines günstigen Erhaltungszustands dieser Pflanzenart erreicht werden.“
Beispiele aus Niedersachsen
Darüber hinaus unterfüttert die Kommission ihre Kritik durch Gebiete aus den einzelnen Ländern. Für Niedersachsen sind es die Gebiete „Tinner Dose, Sprakeler Heide” (Landkreis Emsland), „Balksee und Randmoore, Nordahner Holz“ (Landkreis Cuxhaven) und das „Goldenstedter Moor“ (Landkreis Vechta) und hier insbesondere der Umgang mit dem prioritären Lebensraumtyp 91D0*. Die Schlussfolgerung der Kommission: „In ihrem ergänzenden Aufforderungsschreiben kam die Kommission zu dem Schluss, dass die Erhaltungsziele in den genannten Gebieten die Anforderungen wie in Abschnitt 4.2.1 dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme dargelegt nicht erfüllen. Die Ziele sind sehr allgemein und unspezifisch gehalten, ohne klar zwischen dem Ziel der „Erhaltung“ oder der „Wiederherstellung“ zu unterscheiden. In den Erhaltungszielen werden auch keine quantifizierten oder messbaren Ziele festgelegt. Nach Auffassung der Kommission liefert die Antwort vom 11.6.2019 keine neuen Anhaltspunkte dafür, dass die Erhaltungsziele in Niedersachsen den Anforderungen in Abschnitt 4.2.1 dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme entsprechen.“
Zusammenfassend kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass Deutschland „dadurch, dass sie:
- versäumt hat, 129 von 4.606 GGB als BSG auszuweisen (siehe Anlage), wofür die einschlägige Frist gemäß Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 92/43/EWG bereits abgelaufen ist;
- allgemein und strukturell gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und Art. 6 der Richtlinie 92/43/EEC verstoßen hat, detaillierte und gebietsspezifische Erhaltungsziele festzulegen;
- allgemein und strukturell gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG verstoßen hat, die nötigen Erhaltungsmaßnahmen festzulegen;
- versäumt hat, sicherzustellen, dass die Behörden in Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Niedersachsen und dem Saarland aktiv und systematisch Bewirtschaftungspläne im Sinne des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG für die Öffentlichkeit verbreiten.
gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 4 und 6 der Richtlinie 92/43/EEC und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/4/EG verstoßen.“
Was bedeutet das Verfahren für die FFH-Gebiete im Landkreis Osnabrück?
Hält man die Verordnungen zu den Gebieten im Landkreis Osnabrück vor Augen, so genügen diese den Anforderungen der EU-Kommission nicht. Hierzu kann auf die bisher aufgearbeiteten Gebiete „Gehn“, „Achmer Sand“ und „FFH-Gebiet Fledermauslebensraum Wiehengebirge bei Osnabrück“ verwiesen werden. Im Gehn beispielsweise sind die Erhaltungsziele nicht nur nicht quantifiziert, sondern im Fall der Bechsteinfledermaus gar nicht im Gebiet selbst. Nach dem Standarddatenbogen, dem Meldedokument zum Gebiet an die EU-Kommission, wird der Bestand mit 51 -100 Individuen angegeben, der Schutz wird mit „B“ (gut) bewertet, es muss also nach Aktenlage nichts gemacht werden!
Ruft man die Prüffragen der Kommission zur Bewertung des Gebietsschutzes auf („wer tut was, wann, wo und wie“), so enthalten die Schutzgebietsverordnungen zu keiner der Fragen eine Antwort im Sinne des Naturschutzes. Im Gegenteil: Die Verordnungen setzen sogar noch eins drauf, wie sich insbesondere für die Wälder belegen lässt: Die Forstwirtschaft („wer“) erfährt in ihrer Nutzung („was“) weder zeitlich („wann“), räumlich („wo“) noch sonst („wie“) irgendwelche Einschränkungen in den Schutzgebieten, die über die allgemeinen gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehen.
Hier können Sie übrigens den monatlichen E-Mail-Rundbrief bestellen!