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Erkenntnisse aus umfangreichen Daten zur Tagfalter- und Widderchenfauna in zwei Naturräumen

Gabriele Herrmann

Kahlschläge und andere Wald-Freiflächen werden in der öffentlichen Diskussion regelmäßig mit Beeinträchtigungen oder Störungen gleichgesetzt. Der vorliegende Beitrag widmet sich am Beispiel der Tagfalter und Widderchen der Frage, inwieweit eine solche Sichtweise fachlich zutreffend und „noch zeitgemäß“ ist, insbesondere naturschutzfachlichen Kriterien standhält. Hierzu werden Bestandsdaten aus 355 Wald-Kahlflächen analysiert, die zwischen 1990 und 2020 in verschiedenen Naturräumen im zentralen Baden-Württemberg erhoben wurden. Die Gesamtzahl der in einem Raum auf Kahlflächen nachgewiesenen Arten wird mit dem rezenten Inventar des übergeordneten Bezugsraums verglichen. Im Ergebnis zeigt sich, dass auf Kahlflächen über längere Zeiträume hinweg zwischen 69% und 80% des Gesamtarteninventars übergeordneter Bezugsräume nachgewiesen wurde. Damit gehören Kahlflächen und ihre typischen Sukzessionsstadien zusammen mit Magerrasen zu den beiden wichtigsten Hauptlebensraumtypen für die Gruppe der Tagfalter und Widderchen in Baden-Württemberg. Neben einem Grundstock aus stetig auftretenden Arten mit breiterem Habitatspektrum finden sich in allen untersuchten Räumen Spezialisten von Wald-Kahlflächen, die in der heutigen Kulturlandschaft keine oder nur sehr wenige Habitatalternativen in anderen Lebensraumtypen besitzen. Diese „Lichtwaldarten“ werden durch die heutige „naturnahe“ Waldwirtschaft, in der auf Kahlschläge weitestgehend verzichtet wird, massiv gefährdet. Die meisten Lichtwaldarten stehen bereits in hohen Gefährdungskategorien der Roten Listen oder sind dort mittelfristig zu erwarten. Entsprechende Artbeispiele und praktische Erfahrungen aus der Umsetzung von Artenschutzmaßnahmen werden vorgestellt. Rechtlich-administrative Rahmenbedingungen und Vorbehalte Beiteiligter hinsichtlich Kahlschlägen blockieren derzeit jedoch massiv die Umsetzung fachlich dringend gebotener Maßnahmen und werden die Gefährdungssituation der Lichtwaldarten weiter verschärfen. Dies ist Teil der Problemlage des „Insektensterbens“. Gleichzeitig wird das Gefährdungspotenzial punktueller Kahlschläge für Arten geschlossener Waldbestände massiv überschätzt. Vor diesem Hintergrund ist im naturschutzfachlichen Kontext eine grundsätzlich andere Sichtweise auf Kahlhiebe und Waldlückensysteme geboten, die deren positive Bedeutung anerkennt und in praktisches Handeln umsetzt. Es müssen vom naturnahen Waldbau deutlich abweichende Waldnutzungsformen zugelassen und gezielt gefördert werden (Waldweide, Streunutzung, Kahlhieb, Nieder- und Mittelwald). Insgesamt sollten Kahlschläge von 1-2 ha Größe aus Artenschutzgründen – unter flankierender Schonung wertvoller Alt- und Totholzbestände bzw. besonders seltener Waldstandorte, bei denen ansonsten eine Gefährdung konkret zu erwarten wäre – wieder zum regelmäßigen Instrumentarium der forstlichen Nutzung gemacht werden. Momentan in einigen Regionen Baden-Württembergs auftretende Waldschäden infolge Trockenheit und Insektenkalamitäten reichen bei Weitem nicht aus, um zu einer Entspannung der prekären Bestandssituation der Lichtwaldarten beitragen zu können.

Gabriel Hermann

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