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Eine aktuelle Stunde im Bundestag

Dr. Matthias Schreiber
Am 23.05.2025 fand auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Grüne eine aktuelle Stunde statt. Thema: Dürre in Deutschland – Bedrohung für Mensch, Wirtschaft und Natur nicht aussitzen, Klimaschutz konsequent umsetzen. Was ist eine aktuelle Stunde? Wikipedia beschreibt sie so: „Eine Aktuelle Stunde findet in Parlamenten statt. Sie behandelt in der Öffentlichkeit diskutierte Themen oder schließt sich einer Debatte an, zu der eine Fraktion weiteren Diskussionsbedarf anmeldet. Die Redezeiten der Abgeordneten dürfen eine festgelegte Zeit nicht überschreiten.
Meist dauern Aktuelle Stunden länger als 60 Minuten, da eventuelle Redezeiten von Mitgliedern der Regierung in der Zeitmessung nicht berücksichtigt werden. Sie können aber auch kürzer als eine Zeitstunde sein, wenn die Fraktionen die ihnen eingeräumte Redezeit nicht ausschöpfen.“
Um es vorwegzunehmen: Neues zum Thema hat diese Veranstaltung nicht gebracht. Die Redner vom Rand versuchten das Thema Klima und Trockenheit, und die, die Gegenmaßnahmen fordern, einfach nur lächerlich zu machen. Das lasse ich mal rechts liegen. Im Kontrast dazu findet sich vom Vertreter der CDU immerhin dieses Bekenntnis: „Wer den menschengemachten Klimawandel leugnet, wer wissenschaftliche Fakten ignoriert, der leugnet auch die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen.“
Ansonsten ging der Austausch der Parteien über gegenseitige Vorwürfe und bekannte Allgemeinplätze kaum hinaus. Die Grünen verwiesen auf den von ihnen vorangetriebenen Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Vertreter der CDU warf den Grünen vor, sie hätten in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass Klimaschutz in diesem Land mit Ideologie, Überforderung und Bürokratiewahnsinn gleichgesetzt werde, „Stichwort „Heizungsgesetz““ Eine gewisse Annäherung gab es zumindest beim Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz, dem der CDU-Vertreter bescheinigte: „Das war ein gutes Programm der Ampel.“ Der SPD-Umweltminister betonte die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene und mit den Ländern. So weit alles ganz unspektakulär. (Für einen Eindruck von der Tiefe der Debatte lohnt eine Lektüre des Protokolls trotzdem).
Das Wecken falscher Erwartungen

Allerdings lieferte der Beitrag des CDU-Abgeordneten ein paar bedenkliche Vorstellungen zum Umgang mit der Erderhitzung. So sei beim Klimaschutz ideologisch gehandelt worden (als Vorwurf an die Grünen). Man selbst handele dagegen pragmatisch, setze auf Freiwilligkeit und wolle die Bürger für Klimaschutz begeistern.
Wer anderen bei diesem Thema „Ideologie“ unterstellt, errichtet Fronten und erschwert die dringend notwendige Zusammenarbeit in einem möglichst breiten politischen Spektrum. Denn die Erderhitzung und infolgedessen der Klimawandel sind weder Ideologie noch Meinung, sondern laufen vollkommen kompromisslos nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten ab: Der Anstieg klimarelevanter Gase erhöht die Temperatur in der Atmosphäre, was dort zur Wasser- und Energieanreicherung führt und sich in zeitlich und räumlich unkalkulierbaren Extremereignissen niederschlägt (im wahrsten Sinne des Wortes). Da ist kein Platz für Ideologie, so wenig, wie Grundrechenarten etwas Weltanschauliches haben.
Wer dem ein pragmatisches Vorgehen aus Freiwilligkeit und Freude entgegensetzen will, müsste allerdings darlegen, wie er damit die Klimamechanismen auch dann beeinflussen will, wenn kaum jemand freiwillig aktiv wird und es auch keinen Spaß macht. So schön die Vorstellung von der Freiwilligkeit auch sein mag: So funktioniert unser Zusammenleben in vielen Bereichen nicht. Das gilt für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben durch Steuern und Abgaben, Gesundheitsversorgung, Pflege, Alterssicherung und vermutlich auch die Herstellung der Verteidigungsfähigkeit. Freiwilligkeit begrenzt erst recht die Klimafolgen nicht, denn mit dem kann nicht verhandelt werden.
Auf Freiwilligkeit bei Klimaschutz und -vorsorge hat man sich auch bisher nicht verlassen: Die Errichtung der Deiche als alte Schutzsysteme gegen Extremereignisse war keine freiwillige Freizeitbeschäftigung gelangweilter Friesen, sondern erfolgten gemeinschaftlich und der Not gehorchend („De nich will dieken, mutten wieken.“). Deichbau ist mittlerweile eine gesamtstaatliche Gemeinschaftsaufgabe und hat mit Freiwilligkeit nichts zu tun. Und was mögen die Bewohner des Ahrtals (und in den anderen Regionen mit Hochwässern der letzten Jahre) wohl zur Idee der Freiwilligkeit sagen? Hätten sie sich freiwillig im Vorfeld wappnen sollen (wie auch immer)? Oder Freiwilligkeit bei der Schadensbewältigung nach der Hochwasserkatastrophe: So beeindruckend die wochenlange ehrenamtliche Hilfe Freiwilliger und die Spendenbereitschaft auch waren: Für die insgesamt zum Wiederaufbau erforderlichen Mittel hat sich niemand auf Freiwilligkeit verlassen. Die Mittel werden richtigerweise aus dem gemeinschaftlichen Steueraufkommen (bzw. durch neue Schulden) aufgebracht.

Und noch ein Beispiel: Niedersachsen will bis 2040 klimaneutral werden. Bis dahin sind u.a. viele zehntausend Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen so zu vernässen, dass die Emissionen von bis zu 40 t CO2/ha und Jahr auf null sinken. Sollen die betroffenen Landwirte ihre Nutzflächen freiwillig aufgeben, sie dann mit Freude gemeinsam vernässen, obgleich sie dabei ihre bisherige Existenzgrundlage aufgeben? Die Beispiele zeigen (und ließen sich auf Elektromobilität oder die Wärmeversorgung übertragen), dass der Klimaschutz klarer Regeln, Fristen, Anreize und sozialer Abfederung bedarf. Über die konkrete Ausgestaltung wird man streiten müssen. Aber auf Freiwilligkeit als zentralem Element zu setzen, ist fatal.
Bleibt da noch das Stichwort, viele Menschen hätten die Freude am Klimaschutz verloren, man selbst wolle die Bürger für den Natur- und den Klimaschutz begeistern. In Verbindung mit der betonten Freiwilligkeit werden hier falsche Erwartungen geweckt. Denn Freude und Begeisterung werden kaum aufkommen, weil Maßnahmen gegen den Klimawandel, und sei es nur deren Begrenzung und die Anpassung an Extremereignisse, einfach nur teuer werden:
Für die Bewältigung der Ahrtalflut kommen auf unsere Gesellschaft Kosten in Höhe 30 Mrd. € zu. Weil die Klimaprognosen von einer Zunahme solcher Extremereignisse ausgehen, wird es wohl nicht die letzte Katastrophe dieser Dimension bleiben.
Die Elektrifizierung unseres fossilen Energieverbrauchs wird teuer, auch wenn uns die Geschichte vom preisgünstigen Strom aus Wind und Photovoltaik erzählt wird. Letzteres gilt nur bis zum Einspeisepunkt. Kosten für den Netzausbau, der Bau und Betrieb von Reservekraftwerken (+ späterer (Teil-)Umrüstung auf Wasserstoff) oder der Aufwand für die Steuerung einer weiterhin stabilen Stromversorgung kommen noch hinzu. Und hier stehen wir noch sehr am Anfang: Denn 2023 wurden erst 21,5 % unseres gesamten Energiebedarfs durch Erneuerbare Energien abgedeckt (hiervon abzuziehen wäre eigentlich noch die Verbrennung von Holz, der fälschlicherweise Klimaneutralität attestiert wird). Für fast 80 % unseres Energieverbrauchs steht eine Transformation also noch bevor.

Die Vernässung von Mooren zur Eindämmung der Ausgasung von CO2 oder Methan wird nur Kosten bringen, aber kaum Ertrag abwerfen. Nischenprodukte (Paludikultur) werden bisher in diesen Gebieten erwirtschaftete Erträge allenfalls in kleinen Teilen kompensieren.
Hinzu kommen die notwendige Erhöhung und Verstärkung der Deiche und Klimaanpassungen gegen die Überhitzung der Städte oder Vorkehrungen zur Sicherstellung der Wasserversorgung.
Es werden die wenigsten sein, bei denen all das Begeisterung auslöst. Hier werden keine neuen Erträge erwirtschaftet, sondern kann lediglich versucht werden, noch größere Schäden in der Zukunft zu vermeiden. Das muss eine ehrliche Kommunikation vermitteln. Dagegen darf nicht der Eindruck erweckt werden, als sei Klimaschutz so etwas wie einmal im Jahr Müll sammeln oder am Stadtradeln teilzunehmen.
Aktuell wird allerdings in verschiedenen Kommentaren auf „Rückwärtsbewegungen“ [S+] oder Desinteresse [Z+] beim Klimaschutz aufmerksam gemacht. Besonders die Kolumne von Petra Pinzler liefert hierzu interessante Überlegungen. Sie schreibt: „Mit dem Alltag der meisten Menschen hat die Klimapolitik oft schlicht nichts zu tun. Oder anders formuliert: In Niedersachsen wollen die Leute nicht wissen, wann Deutschland Netto-Null schafft, sondern ob sie beim nächsten Hochwasser besser geschützt sind. In Sachsen-Anhalt, ob sie ihre Gärten bald wegen Wassermangels in mexikanische Wüstengärten umbauen müssen. Und in Berlin-Marzahn, ob die Oma in Hitzesommern in ihrer Wohnung noch leben kann. Und welches Tun und welches Lassen Sinn macht – und eine Wirkung hat, und zwar nebenan.“
Möglicherweise gilt dieses Wahrnehmungsmuster auch für verantwortliche Akteure in Politik und Verwaltung.
Was ist zu tun?

Wichtig erscheint mir, dass dem Thema Erderhitzung (und das gilt in gleicher Weise auch für das Artensterben) schnellstmöglich das Etikett einer Ideologie genommen wird, die bei einer einzelnen Partei oder bei irgendeiner gesellschaftlichen Strömung zu verorten ist. Vielmehr muss die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise als Überlebensfrage anerkannt werden, der sich alle Parteien mit gleich großem Einsatz zu widmen haben.
Gleichzeitig muss die Vorstellung geradegerückt werden, die Bewältigung der beiden Krisen sei so nebenbei, freiwillig und als Spaßveranstaltung zu schaffen. Alles spricht stattdessen dafür, dass wir vor einer gewaltigen Daueraufgabe stehen, die jeder und jedem von uns Zumutungen abverlangen wird, wenn wir uns die eigenen Lebensbedingungen und die unserer Kinder und Enkelkinder noch in einem erträglichen Rahmen erhalten wollen.
Man wird die Diskussion über die Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben noch intensiver führen müssen, im eigenen Umfeld, mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Politik und Verwaltung. Vielleicht müssen wir aber weniger über die mittlere Temperatur des Mittelmeeres oder allgemein über den nationalen Anteil gefährdeter Arten in den Roten Listen oder die Zahl durchschnittlich pro Tag auf der Welt aussterbenden Arten reden, sondern mit konkretem Bezug. Hier ein paar Beispiele:
Es sind die zweimal in der Woche mit dem Mähroboter gemähten Rasenflächen in der eigenen Straße, die einen Anteil am Artensterben haben.
„Was unternehmen Sie als Kommune, um den Einsatz von Mährobotern einzudämmen (siehe Beispiel Steingärten)?“
„Und wie sehen Sie das lieber Nachbar?“
Wissen alle Badberger Bürger, dass die Gemeinde ein neues Gewerbegebiet in einem Überschwemmungsgebiet eingerichtet und damit kostspielige Schadensfälle für die nächsten Jahre vorprogrammiert hat, die dann auf Kosten der Allgemeinheit wieder ausgeglichen werden müssen?
„Ist Ihnen als Rastmitglied klar gewesen, dass ein Gewerbegebiet in einem bekannten Überschwemmungsbereich errichtet werden soll?“
Gespräche im Zusammenhang mit den „Grünen Fingern“ der Stadt Osnabrück zeigten, dass sich Bürger der Innenstadt gefragt haben, warum sie sich für deren Schutz einsetzen sollen, wo es die in der Innenstadt doch gar gebe! Die Aufklärung z.B. über die Kaltluftschneisenfunktion dieser Grünstrukturen bringt vielleicht neue Verbündete, die dann Mitglieder des Stadtrates und der Verwaltung ansprechen:
„Wie sollen die vielfältigen Funktionen dieser Grünstrukturen gewahrt bleiben, wenn Bauvorhaben xyz realisiert wird?“
Wie wenigen Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern ist tatsächlich bewusst, dass FFH-Gebiete in ihrem Wahlkreis von der Verurteilung des Europäischen Gerichtshofs wegen mangelhaften Schutzes gefährdeter Graslandlebensräume betroffen sind?
„Welche Maßnahmen werden bis wann ergriffen, um den Zustand und die Ausdehnung dieser gefährdeten Lebensräume im FFH-Gebiet in unserer Gemeinde zu verbessern?“
Die EU-Kommission hat gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil Uferschnepfen z.B. im Bereich des Vogelschutzgebietes „Niederungen der Süd- und Mittelradde und der Marka“ einen drastischen Bestandseinbruch erlebt haben (von 95 auf 15 Brutpaare).
„Was unternimmt der zuständige Landkreis Cloppenburg bis wann, um den Rückgang umzukehren?“
Der Goldregenpfeifer ist seit nunmehr fast 10 Jahren in den Vogelschutzgebieten des Emslandes und der Grafschaft Bentheim verschwunden. Abtorfung war über Jahrzehnte in den Gebieten dominierend, der Schutz des Goldregenpfeifers wurde nie ernsthaft betrieben.
„Was werden Sie als zuständige Landkreise unternehmen, um eine erneute Ansiedlung möglich zu machen?“
Geht es um konkret bestehende Defizite vor Ort, kann die Auseinandersetzung darüber nicht als „Ideologie“ abgetan werden (es sei denn, man leugnet das Problem an sich). Sind gesetzliche Verpflichtungen verletzt, fällt auch der Verweis auf Freiwilligkeit und der fehlende Spaßfaktor als Ausrede aus. So kommt vielleicht Schritt für Schritt etwas in Bewegung, in den Köpfen und draußen.
Die Umweltverbände müssen dazu den Blickwinkel ändern. Sie müssen sich weniger darum kümmern, mahnend Pressemitteilungen zur neuesten Rote Liste von was auch immer zu kommentieren als vielmehr die eigene Basis in die Lage versetzen, gezielt vor Ort den „Finger in die Wunden“ zu legen – zum Beispiel für Goldregenpfeifer Uferschnepfe oder „Grüne Finger“.
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