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Gurken, Katzen und verpilzte Studenten - oder warum man auch Benzin zum Frühstück trinken könnte
Henrik Brackmann
Hans Joosten über Moore und Klimaschutz
Als Auftaktveranstaltung der Umweltwoche im Landkreis Vechta fand am vergangenen Dienstag, den 02.04.2024 ein Vortrag mit dem Titel „Unsere Moore – unverzichtbar für Klimaschutz und Biodiversität“ in der Scheune Leiber in Damme statt.
Der Referent war niemand geringeres als Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joosten. Als Koryphäe auf dem Gebiet der Moorforschung, Mitbegründer des Greifswald Moor Centrum und Träger des Bundesverdienstkreuzes ist Joosten weit über die Fachwelt hinaus bekannt. Seine Vorträge vereinen stets ein breites Faktenspektrum mit anschaulichen Vergleichen, erschreckenden Zahlen und lustigen Anekdoten.
Als Einführung in seinen Vortrag fasst Joosten die Handlungsnotwendigkeit im Klimaschutz zusammen. Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen des Menschen, führt zu humanitären Katastrophen und zunehmenden Flüchtlingsströmen aus stark betroffenen Gebieten. Der Klimawandel führt laut Joosten zu hunderten Milliarden Euro Schäden und tausenden Toten jährlich, weltweit. Als Gegenmittel kann es nur den Weg geben, die CO2 Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Ab 2050 muss es sogar eine weltweite Senke für klimawirksame Gase geben, das heißt, dass CO2 aus der Atmosphäre gezogen und gespeichert werden muss. Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher Quelle die Emissionen stammen, alles muss auf null. Jeder einzelne muss auf null, jedes Unternehmen, jede Gemeinde, jeder Staat, alles. Ausreden und Ausgleiche kann es nicht mehr geben, das erfordert laut Joosten ein radikales Umdenken.
Weiter geht es mit einer Beschreibung, was Moore sind und welche Bedeutung sie als Kohlenstoffspeicher haben.
Moore macht vor allem aus, dass sie aus Wasser bestehen. Und eben aus Kohlenstoff. So speichert ein Hektar Moor im Schnitt so viel Kohlenstoff wie in 2 Millionen Liter Diesel enthalten ist. Damit sind Moore der effektivste Kohlenstoffspeicher auf der Landfläche, wesentlich effektiver als jeder Regenwald.
Die Landoberfläche der Welt besteht nur zu drei Prozent aus Mooren, enthält auf dieser kleinen Fläche aber doppelt so viel Kohlenstoff, wie in allen Wäldern der Welt gespeichert ist, und Wälder machen etwa 30 Prozent der Landoberfläche aus.
Was haben Moore mit eingelegten Gurken gemeinsam?
Joosten vergleicht Moore gerne mit einem Glas Gurken. Solange die Gurken verschlossen eingelegt sind, sind sie lange haltbar. Wird das Glas geöffnet und die Gurken trockengelegt, verrotten sie schnell.
Die lange Haltbarkeit der Gurken sei allerdings nur theoretisch, sie seien dafür einfach zu lecker, lockert Joosten seinen Vortrag auf.
Bei Torf verhält es sich genauso: Wird das Wasser durch Trockenlegung entfernt, zersetzt sich der Torf durch den Einfluss des Sauerstoffs, den das Wasser normalerweise abhält.
Auch geschmacklich kann Joosten Torf etwas abgewinnen, wie ich bei einer Exkursion mit ihm im letzten Jahr selbst erleben konnte. Aus einer Bohrung in den Torfkörper nahm er sich als erstes ein Stück des nassen Torfs um ihn zu verköstigen. Mit dieser Methode kann man gleichzeitig feststellen, dass Torf rein organisches Material ist, es knirscht nichts zwischen den Zähnen und schmeckt tatsächlich nicht schlecht.
Im Prinzip isst jeder von uns täglich Torf. Das fängt beim Verzehr von landwirtschaftlichen Produkten an, die auf Moorböden produziert wurden. So entstehen auf tiefentwässertem Grünland auf Moor durchschnittlich 29 Tonnen CO2-Äquivalent pro Hektar und Jahr, das entspricht dem CO2 Ausstoß eines Mittelklasse-PKW auf 145.000 km. Wenn man diese Emissionen auf Milch umlegt, die auf so einer Fläche erzeugt wurde, könnte man anstatt Milch auch die doppelte Menge Benzin zum Frühstück trinken. Ein Liter Milch entspricht zwei Litern Benzin. Eine wie ich finde erschreckende und wenig appetitliche Vorstellung.
Weiter geht der „Torfverzehr“ selbst bei Gemüse, das nie ein Moor gesehen hat. Im Erwerbsgartenbau wird nach wie vor hauptsächlich Torf für die Anzucht der Jungpflanzen verwendet. Das liegt daran, dass Torf eigentlich „viermal Nichts“ ist. Einmal besteht trockener Torf hauptsächlich aus Poren, kann also gut Wasser speichern und lässt dennoch Luft an die Wurzeln. Das zweite „Nichts“ ist der gut einstellbare PH-Wert des Torfs, durch die Säure kann man diesen leicht durch Zugabe von Kalk auf das nötige Niveau heben. Als drittes nennt Joosten die nicht vorhandenen Nährstoffe im Torf. Da er rein organisch ist, können auch diese nach Bedarf leicht ergänzt werden. Und das vierte, momentan für die massenhafte Nutzung wohl ausschlaggebendste „Nichts“ ist der Preis. Torf ist ein sehr günstiger Rohstoff, jedenfalls solange man die Folgekosten für die Umwelt nicht mit einberechnet.
Meiner Meinung nach ist Torf damit lediglich im Erwerbsgartenbau noch einigermaßen zu rechtfertigen. Die Verwendung von Torf in Hobby-Erden, also dem privaten Gärtnern sowie auch in der Landschaftsgärtnerei jedoch nicht.
Ein interessanter Vergleich kommt aus dem Publikum von Josef Gramann, dem Chef des Substratherstellers Gramoflor, frei zitiert: „Ein Erwachsener, der einen Schnaps trinkt, schüttelt sich einmal. Bei einem Säugling ginge die Sache anders aus.“ Damit ist die perfekte Einstellung des Substrats gemeint, die gerade bei Jungpflanzen im Erwerbsgartenbau wichtig ist. Für Größere Pflanzen spielt das dann keine Rolle mehr. Die Vorteile, die Torf in der Anzucht hat, sind bei der Ausbringung als Blumenerde nicht nachvollziehbar. Auch kommt bei der an den Vortrag anschließenden Diskussion der Vorschlag Lebensmittel mit einer CO2-Steuer zu belegen, bei der auch die Emissionen aus dem Kultursubstrat mit einberechnet werden, von Gramann. Solange Torf weitaus günstiger zu produzieren sei als mögliche Ersatzstoffe, würden diese sich nicht durchsetzen können. Ersatzssubstrate seien möglich, aber einerseits teuer und andererseits nicht so perfekt.
Landwirtschaft auf Moorböden
Weiter führt Joosten aus, dass Kartoffeln von entwässerten Moorböden eigentlich als fossile Energieträger betrachtet werden müssten und man aus Klimasicht genauso gut Steinkohle „fressen“ könnte.
Die Emissionen der EU-Landwirtschaft stammen zu einem Viertel aus entwässerten Moorböden. In Deutschland ist es sogar noch schlimmer. Auf nur 7 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche entstehen 37 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen. Nach Berechnungen des Bundesumweltamts zu den Schäden aus CO2 Emissionen ist ein jährlicher Klimaschaden von 8,5 Milliarden Euro der deutschen Moorlandwirtschaft zuzuschreiben und entspricht dabei nahezu der Netto-Wertschöpfung der gesamten deutschen Landwirtschaft und wird von der EU mit über 400 Millionen Euro gefördert.
Hier kommt die Katze ins Spiel. Durch die verursachten Schäden aus den landwirtschaftlichen Emissionen arbeitet die gesamte deutsche Landwirtschaft nach Joosten „für die Katze“.
Die Emissionsschäden fressen die Wertschöpfung also nahezu komplett auf, das ist natürlich rein wirtschaftlich betrachtet, macht aber wieder sehr erschreckend deutlich, welche Bedeutung Moorböden für das Klima und eine ertragssichere Zukunft haben. Wir können es uns auf Dauer schlicht nicht leisten, uns an der Umwelt zu verschulden, irgendwann bekommen wir die Rechnung dafür serviert. Dürresommer und Hochwasser sind die ersten Anzeichen und dabei stehen wir erst am Anfang.
Eine weitere Problematik auf entwässerten Mooren ergibt sich durch die Torfzehrung selbst. Der Boden schwindet, sackt ab. In den Niederlanden entstehen durch die Sackung der Böden jährlich Schäden um 3 Milliarden Euro. Gebäude, Kanalisation und Infrastruktur sind betroffen. Viele Menschen müssen regelmäßig neue Treppen vor ihr Haus bauen, da die Häuser auf Pfählen gegründet sind, die Straßen aber mit den Böden absacken, führt Joosten aus.
Jeder, der schon einmal durch ein Moorgebiet gefahren ist, kennt sicherlich die schlechten Straßenverhältnisse in diesen Gebieten. Eben diese Sackungen sind Folgen der Entwässerung. Für Deutschland scheint es keine Bezifferung der Schäden durch Sackungen in trockenen Moorgebieten zu geben. Die Niederlande sind in den letzten 1000 Jahren um etwa 8 Meter abgesackt und damit von einigen Metern über den Meeresspiegel auf einige Meter darunter gesunken. Die Niederlande haben sich zum Absaufen ausgetrocknet, ähnliches gilt für Mecklenburg-Vorpommern und viele weitere Küstenregionen der Welt. Joosten schätzt den durch diese Prozesse verursachten Schwund an produktivem Land auf 10 bis 20 Millionen Hektar im 21 Jahrhundert.
Außerdem setzen entwässerte Moore große Mengen an Stickstoff frei, was zu weiteren Problemen führt.
Es gibt für diese Vielzahl an Problemen nur eine Lösung: Die Moore müssen wiedervernässt werden. Moor muss nass!
Eigentlich müssen bis 2050 jedes Jahr 50.000 Hektar in Deutschland wiedervernässt werden. Solche Riesenflächen, ist das nicht naiv? Indonesien zeigt, wie es gehen kann. Zwischen 2017 und 2020 wurden dort 4,4 Millionen Hektar vernässt, 20x mehr als ganz Europa in der bisherigen Geschichte.
In Europa wurden bisher fast ausschließlich ungenutzte Gebiete wiedervernässt. Das muss sich ändern, es müssen auch produktive Flächen vernässt werden. Wir können es uns gleichzeitig nicht leisten, alle Moorböden aus der Nutzung zu nehmen. Joosten löst diesen Konflikt mit der Paludikultur, der Landwirtschaft auf nassen Böden.
Andere Nutzung von Mooren
Auf nassen Flächen kann beispielsweise Schilf oder Rohrkolben als Ausgangsmaterial für Baustoffe, als Viehfutter, als Substrat oder sogar als Plastikersatz angebaut werden. Besonders als Dämmmaterial sind Sumpflanzen gut geeignet, da sie durch den nassen Wuchsstandort luftleitende Strukturen ausbilden. Auch hält Joosten Sumpflanzen als Lieferanten für Rohstoffe für beispielsweise die Halbleiterindustrie für möglich. Die Pflanzen lagern Silizium ein, um sich vor Pilzen zu schützen. Eine Anekdote Joostens dazu ist die seiner verpilzten Studenten, die nach einem längeren Aufenthalt, vor allem in tropischen Mooren, immer vollständig verpilzt zurückkehren und erst einmal behandelt werden müssten. Die Einlagerung von Silizium für die Pilzabwehr führt auch zu Anreicherungen von seltenen Erden in den Pflanzen, diese könnten somit abgebaut und genutzt werden.
Ein wichtiger Anwendungsbereich der Paludikultur wird die Kultivierung von Torfmoosen sein. Die ist, wie oben bereits beschrieben, für die Gemüseanzucht auch als ein „Nichts“ nötig, das bisher im Torf gefunden wird. Um einen Ersatzstoff für Torf zu gewinnen, kann Torfmoos Verwendung finden. Bisher beschränkt sich der Anbau allerdings noch auf Versuchsflächen.
Ich halte es für sehr sinnvoll, bisherige Ackerflächen oder auch Torfabbaubereiche nach der Wiedervernässung in Anbaugebiete für Torfmoos oder Sumpflanzen umzuwandeln. Da Torfmoose eher langsam wachsen, werden für den Ersatz von Torf verhältnismäßig große Anteile der ehemaligen Abtorfungsflächen für deren Anbau benötigt werden.
Eine weitere Nutzungsmöglichkeit sieht Joosten in der Fotovoltaik auf nassen Mooren. Wo bisher Mais auf entwässerten Böden angebaut wird, der ebenfalls für die Energiegewinnung in Biogasanlagen verwendet wird, ist es deutlich effizienter, die Sonnenenergie direkt zu gewinnen. Der große Vorteil ist, dass der Torf bei dieser Nutzung nicht trocken sein muss und damit als Kohlenstoffspeicher erhalten bleibt.
Wird der gespeicherte Kohlenstoff nun noch mit 100 Euro pro Tonne vergütet, ergibt sich für die Flächeneigentümer bzw. Pächter eine deutlich bessere Einkommensquelle als in konventioneller, trockener Nutzung. Die 100 € pro Tonne CO2-Äquivalent sind momentan zwar ein Höchstwert, aber selbst bei einem Preis von 50€/t Co2-Äquivalent ergäbe sich bei einer Einsparung von angenommenen 20 t pro ha und Jahr ein Gewinn von 1000 Euro pro Jahr, ohne die Fläche weiter zu bewirtschaften. Das entspricht in etwa den Pachtmarktpreisen. In Verbindung mit einer nassen Bewirtschaftung könnte so eine gute Wirtschaftlichkeit auf Moorböden erzielt werden, ohne gleichzeitig Klimaschäden zu verursachen. Voraussetzung dafür wäre die Möglichkeit des Handels mit gespeichertem CO2.
Nach Schätzung des Umweltbundesamtes liegen die Schadenskosten pro Tonne CO2-Äquivalent schon 2030 zwischen 215 und 700 Euro.
Zum Ende seines sehr spannenden Vortrags greift Joosten noch der Nachfrage nach den Methanemissionen nach Wiedervernässungen vor. Es sei richtig, dass nach der Wiedervernässung Methan entsteht und auch, dass dieses Gas deutlich Klimawirksamer ist als CO2. Allerdings wird Methan nach der relativ kurzen Zeit von 12 Jahren in der Atmosphäre abgebaut, wohingegen CO2 dort verbleibt und sich anreichert. Außerdem kommt die Menge der Methanemissionen auf die Art und Weise der Wiedervernässung an. So ist eine langsame Anhebung des Wasserstandes oft sinnvoller als ein Überstau. Je später man die Flächen vernässt, desto mehr CO2 ist bereits entwichen, dazu kommt dann die Methanspitze, was insgesamt zu einer größeren Klimawirksamkeit führt. Daher ist es wichtig die Moore so schnell wie möglich zu vernässen.
Zusammengefasst wird der im Grunde komplexe Sachverhalt in dem griffigen Slogan:
MOOR MUSS NASS! Und zwar sofort!
Einen sehr ähnlichen Vortrag hat Hans Joosten bereits häufiger gehalten. Eine Aufzeichnung davon ist auf youtube auf dem Kanal „Hanse – Wissenschaftskolleg HWK“ mit dem Titel „Klima, Wasser, Moore - Ideen für einen neuen Umgang mit Moorland“ zu sehen. Die Zahlen und Daten in diesem Artikel stammen ebenfalls aus dieser Aufzeichnung, abgerufen am 09.04.2024
Auf die Biodiversität in Mooren, wie im Titel des Vortrags beschrieben, wurde kaum eingegangen. Das Thema würde sicherlich einen eigenen Abend verdienen.
Weitere Beiträge zum Thema Moor auf der Seite des Umweltforums:
Abtorfung in der Raumordnung
Klimaschutzminister Meyer will am Torfabbau festhalten
Abtorfungen in Niedersachsen sind relevanter Klimatreiber
Staatsanwalt ermittelt in Sachen Torfabbau in Vogelschutzgebiet
Klimaschutz durch Moorschutz
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