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Artenvielfalt in der Stadt – eher Privatsache

Carolin Kunz

Artenvielfalt in der Stadt – eher Privatsache

In vollem Gange ist eine weniger beachtete, aber nicht weniger gravierende Krise: der rapide Rückgang der Artenvielfalt. In den ausgeräumten Landschaften der industriellen Landwirtschaft finden Wildpflanzen und Tiere kaum noch Lebensraum. Städte sind zum Zufluchtsort vieler Arten geworden, doch auch die Städte werden zunehmend lebensfeindlicher: Immer mehr Flächen verwandeln sich in Baugebiete, triste Kiesgärten, Plastikzäune statt Hecken oder Rasenflächen ohne jede Blüte. Was plant die Stadt gegen den Rückgang der Biodiversität in Osnabrück zu tun? Welche Ansätze gibt es, der Natur in der Stadt mehr Raum zu geben?

Da sind wir bei einem Punkt, den wir vorhin schon angesprochen haben: Die privaten und die öffentlichen Grünflächen. Ich habe nur Zugriff auf die öffentlichen Grünflächen. Wir können in Bebauungsplänen natürlich festlegen, dass in privaten Gärten auch standortgerechte Gehölze und Stauden gepflanzt werden sollen. Wir können das aber letztendlich nicht kontrollieren, das ist müßig. Das wird nicht gemacht, es muss pflegeleicht sein, ein paar Koniferen rein… Da habe ich keinen Zugriff drauf. Das heißt, es muss wieder deutlich werden, dass wir deutlich mehr öffentliche Grünfläche brauchen, die wir selber steuern können, wo wir die Artenvielfalt selber produzieren können.

Das wäre schön, und da könnte die Stadt mit gutem Beispiel vorangehen.

Ja, aber sie muss das Geld auch in die Hand nehmen. Die Bürger können über die gewählten Ratsmitglieder einen gewissen Druck aufbauen und tun das in beide Richtungen. Der eine Teil sagt, ihr müsst da mehr tun, und der andere Teil sagt, das muss hier wesentlich pflegeleichter sein, gebt nicht so viel Geld aus für diese Grünflächen, das muss doch alles sauber aussehen... Ich hatte so eine Diskussion mit einem Bürger in der Meller Straße. Dort sind Mini-Grünflächen zwischen den Parkstätten. „Also wie das hier aussieht vor meinem Haus, die müssen Sie wesentlich mehr pflegen…“ Ein Stückchen weiter war auch so eine Grünfläche, wo aber Blumen und Gräser wuchsen, die gepflegt war und toll aussah. Und da habe ich gesagt: „Ihr Nachbar pflegt das Ding selber. Wie wäre das denn?“ - „Das ist nicht meine Aufgabe! Das muss die Stadt machen!“

Der Streit um die Grünen Finger. Wird geschützt, was uns schützt?

Die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt hängt also ganz enzscheidend von der Quantität und Qualität unserer Grünflächen ab. Gegenüber anderen Städten hat Osnabrück einen riesigen Vorteil: Die Grünen Finger bilden eine idealtypische Freiraumstruktur, die Antworten auf viele dieser Fragen und ein immenses Potenzial für die zukünftige Stadtentwicklung bietet.

Die Grünen Finger bieten eine ideale Struktur, um Kaltluft aus den zugeordneten Kaltluftentstehungsgebieten und Kaltluftschneisen in die Quartiere zu transportieren und so die Stadt im Sommer zu kühlen. Ackerflächen im Stadtgebiet können als CO2-Senke genutzt werden und einen wichtigen Beitrag zur CO2-Neutralität unserer Stadt leisten. Sie können große Niederschlagsmengen aufnehmen und speichern, Stichwort Schwammstadt. Sie dienen als grüne, sichere Wege für den langsamen Verkehr, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie natürlich auch zur Naherholung, für Sport und Spiel vor der Haustür. Damit dienen sie direkt unserer körperlichen und psychischen Gesundheit!

Bereits 1997 hat der Stadtrat beschlossen, die Grünen Finger in ihrer damaligen Ausdehnung zu sichern, hat das aber bislang nicht in ein entsprechendes Gesetz umgesetzt. Seitdem sind diese Flächen als Baulandreservoir benutzt und scheibchenweise immer weiter verkleinert worden. Welche Rolle spielen die Grünen Finger für die zukünftige Entwicklung der Stadt Osnabrück? Das Forschungsprojekt der Hochschule mit der Stadt kommt zu dem Ergebnis, dass sie eher erweitert und vernetzt werden müssten. Können wir uns tatsächlich leisten, noch mehr Grün- und Freiflächen zu bebauen?

Nein. Eigentlich können wir es uns nicht leisten. Trotzdem müssen wir uns die Grünen Finger – deshalb bin ich ja froh, dass wir dieses Projekt mit der Hochschule haben – nochmal genau angucken. Wir müssen sie wirklich exakt definieren, weil derzeit das Problem ist, dass darüber keine Einigkeit bei den unterschiedlichen politischen Richtungen besteht. Das ist das Mindeste, was wir aus dem Projekt ziehen müssen, dass wir sie klar definieren, verorten und politische Übereinkunft darüber treffen: Was sind die Grünen Finger? Welche Funktionen haben sie? Und dass sie geschützt werden. Das ist schon mal das Wichtigste. Dass wir sie vernetzen, finde ich auch total wichtig. Das ist natürlich der schwierigste Aspekt, weil die Flächen zwischen den Grünen Fingern ja in der Regel bebaut sind. Der größte Gewinn ist, dass wir jetzt eine Diskussion haben und auch zu einer Definition kommen werden. Und dann müssen wir uns überlegen, wie wir sie wirklich langfristig schützen, das heißt dem Zugriff von wechselnden Mehrheiten im politischen Raum entziehen. Für mich gibt es da zwei Instrumente. Einmal, dass wir die Flächen um die Grünen Finger herum, wo wir eine Übereinkunft bekommen, dass sie noch bebaut werden dürfen, in der Art bebauen, dass sie eine Art Stadtmauer bilden, so dass man nicht einfach so über diese Hürde drüber springen kann weiter in diese Flächen hinein. Und dass wir dann die Ränder der Grünen Finger ökologisch so hochwertig ausstatten, dass, falls doch noch jemand auf die Idee kommt, daran rumzuknabbern, der monetäre Aufwand durch die Ausgleichsmaßnahmen so hoch ist, dass die Maßnahme unwirtschaftlich wird. Das sind die beiden Instrumente, die wir haben. Im Augenblick bauen wir Baugebiete oft so, dass einzelne Parzellen frei gelassen werden, wo man noch mal eine Straße oder einen Weg durchlegen könnte, wo es dann weitergeht, und das darf nicht mehr passieren. Ein schönes Beispiel ist die Knollstraße, da haben wir auf der einen Seite ein Baugebiet gemacht und die Straße ist nur einseitig bebaut – das „schreit“ förmlich danach, auf der anderen Seite auch noch bebaut zu werden. Und wenn ich da aber baue, dann muss es dicht sein. Dann ist da Grundstück an Grundstück, und es gibt vielleicht noch mal einen Fußweg da durch, damit die Anwohner in den Freiraum kommen. Aber es darf keine Möglichkeit mehr geben zu sagen, jetzt habe ich eine Reihe, da kann ich genauso gut noch eine zweite Reihe dahinter setzen.

Die Antwort auf viele drängende Fragen der Stadtentwicklung ist eigentlich immer: Mehr Grün, mehr Natur = mehr Lebensqualität in der Stadt. Ein erfreulicher Ausblick! So könnten uns die aktuellen Krisen zwingen, unsere Stadt so zu gestalten, wie wir es uns idealerweise wünschen: Gesund, entspannt, artenreich und menschengerecht. Ein lebendiger, lebenswerter Ort mit viel Natur und Urlaubsflair.

Wünscht sich die Stadt auf dem Weg dahin auch etwas von den Bürgern? Wie können Bürger und Verbände dazu beitragen?

Sie können dazu beitragen, ihren Nachbarn zu überzeugen! Das, was ich vorhin mit diesem kleinen Beet des Straßenbegleitgrüns sagte. Es gibt genug Beispiele aus meinem Arbeitsleben, wo Leute sagen: „Der Baum muss da weg. Der macht Dreck!“ Der Baum macht dreimal im Jahr „Dreck“: Die Blüten fallen runter, das Laub, dann trägt er vielleicht noch Früchte. „Sie müssen sich das mal angucken, was meine Frau putzen muss! Ständig, wenn ich ins Haus gehe, trete ich in diese blöden Kirschen da!“. Da braucht es definitiv ein anderes Verständnis in der Bevölkerung, und zwar wirklich in der breiten Bevölkerung, dass Natur nicht als Dreck angesehen wird, als störend und ungeordnet.

Wobei ich mir da auch mehr Aufklärung, Vorbildfunktion, Kommunikation von der Stadt wünsche.

Ja. Die Kollegen vom Servicebetrieb haben schon die richtige Einstellung dazu und versuchen das auch zu kommunizieren. Aber da passen die Mehrheitsverhältnisse noch nicht. Den paar Leuten, die sich mehr Natur wünschen, stehen ungleich mehr Prozent der Bevölkerung entgegen, die lieber einen kurz geschnittenen Rasen haben wollen als eine wilde Blumenwiese. Da ist das Verhältnis eher 75:25 zu Lasten der Blumenwiese. Das ist aber wirklich etwas, was jeder in seinem eigenen Umfeld auch kommunizieren kann. Da erwarte ich von der Bevölkerung und von den Menschen, die es erkannt haben, dass sie wirklich jedes Gespräch mit ihren Nachbarn nutzen, um da zu einem Umdenken zu kommen.

Herr Otte, vielen Dank für das interessante Gespräch!

(Bilder: M. Schreiber)

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